Franz Kafka konkret

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Kafka konkret - das Trauma ein Leben

(Gerhard Rieck: Kafka konkret - das Trauma ein Leben. Wiederholungsmotive im Werk als Grundlage einer psychologischen Deutung. Königshausen & Neumann, Würzburg 1999.)

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Kurzbeschreibung

 

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Kafkas Werk ist in auffälliger Weise geprägt von Wiederholungen zahlreicher konkreter Motive und Strukturen, die sich abstrakter Deutung sehr oft verweigern und deshalb (trotz ihrer sowohl quantitativ als auch qualitativ dominierenden Stellung) von vielen Interpreten gering geschätzt oder gar überhaupt nicht wahrgenommen werden.

Die folgenden Beispiele für die Untermauerung dieser Behauptung stellen eine Auswahl aus den in meiner Kafka-Studie ("Kafka konkret - das Trauma ein Leben") untersuchten Wiederholungsmotiven dar. Die Konkretheit dieser Motive und das häufige Vorkommen "architektonischer" (Betten, Türen, Gitter, Balkone, Gänge, Treppen etc.) und sinnlicher Motive (Beobachtung, Wärme, Kälte, Helligkeit, Halbdunkel, Dunkelheit, Luftzug, dumpfe Luft, Zerstreutheit, Müdigkeit, Schläfrigkeit etc.) legt nahe, dass sie reale, sinnlich erfahrene Szenen aus dem Dichterleben widerspiegeln, deren emotionale Intensität so groß gewesen sein muss, dass sie in ungezählten Variationen vom Dichter im Werk verarbeitet werden mussten.

Die ganze Bedeutung der betreffenden Motive kann man sich veranschaulichen, indem man sich beliebige Erzählungen oder Romankapitel Kafkas vergegenwärtigt und die oben als Beispiele angeführten konkreten Motive daraus entfernt: Es wird mit Sicherheit fast nichts von den betreffenden Texten übrig bleiben. Und das ganze Ausmaß interpretatorischer Ignoranz kann man sich vor Augen führen, wenn man beliebige Kafka-Deutungen nach etwas ausführlicheren Reflexionen über diese Motive absucht: Man wird zu vielen von ihnen mit hoher Wahrscheinlichkeit fast keine Erwähnungen finden.

In meiner Interpretation führe ich einen großen Teil dieser Wiederholungsmotive auf eine einzige traumatische Szene aus Kafkas Kindheit zurück, welche der Dichter in seiner Literatur in eine "Standardszene" übersetzt hat. Die Spur zu diesem Grundtrauma legt die Beobachtung, dass Kafka eigentlich nur zwei Texte verfasst hat, welche die Kriterien eines autobiographischen Textes erfüllen (die ausführlichere Behandlung einer Persönlichkeitsentwicklung von der Kindheit an über alle Lebensalter). In beiden Texten ("Brief an den Vater" und "Forschungen eines Hundes") wird ein persönlichkeitsprägendes traumatisches Kindheitserlebnis erwähnt (und mit nahezu den gleichen Worten eingeleitet!): die so genannte "Pawlatschenszene" im "Brief" und der Auftritt der "Musikhunde" in den "Forschungen".

Beide Szenen übereinander gelegt ergeben nun das "Grundtrauma": Das Kind liegt in seinem Bett und beobachtet (real oder phantasiert) den Verkehr seiner Eltern, macht sich störend bemerkbar und wird in der Folge vom Vater für einige Minuten zur Strafe aus der Wohnung auf die Pawlatsche ausgeschlossen. Alle oben angeführten Wiederholungsmotive des Werks lassen sich, wie man sich leicht überzeugen kann, zwanglos dieser Traumaszene zuordnen.

Das kleine Kind empfand den Ausschluss nicht zuletzt als Ausschluss aus der Sexualität, und der Erwachsene musste sich daher bei jedem Aufleben seiner sexuellen Wünsche unbewusst mit diesem (inzwischen verdrängten) Ausschluss auseinandersetzen, ohne ihn je seelisch überwinden zu können. Diese Auseinandersetzung erfolgte vor allem literarisch in zahlreichen Texten, die das "Grundtrauma" des Ausschlusses (sowie seine Folgen) vor allem in Form einer variierten "Standardszene" bearbeiten.

In seiner explizitesten Form (sozusagen 1:1 dargestellt) erscheint diese Standardszene im "Verschollenen", wenn Karl Roßmann den Sexualakt von Brunelda und Delamarche beobachtet und dafür auf den Balkon gestellt wird. In mehr oder weniger verschleierter Form beschreibt Kafka die Szene mit dem "erotisch ausgeschlossenen Dritten" (Walter H. Sokel) in allen Romanen und vielen Erzählungen (mehr als ein Dutzend Beispiele führe ich im Buch an).

Das Grundtrauma führt in der Folge zur Ausprägung psychischer Strukturen, die sich erneut in oft wiederholten Motiven ausdrücken. Beispiele dafür (siehe aber auch wieder das "Kommentierte Inhaltsverzeichnis"!) sind die "Zwei Gehilfen", das "alte Kind", "die Hierarchie und der Diener" etc. Auf Kafkas Kindheitstrauma folgten aber vor allem im weiteren Lebensverlauf in meiner Sicht zumindest noch zwei weitere traumatische Situationen, die im Werk ihren häufigen Niederschlag finden. Beide wurden durch eine Liebesbeziehung ausgelöst, die das alte Grundtrauma wiederbelebten.

Das erste "Folgetrauma" erlebte Kafka mit 19 Jahren in seiner als verboten empfundenen und daher verdrängten Liebe zur 1902/1903 im elterlichen Haushalt beschäftigten Anna Pouzarová, welche als Kafkas eigentliche, wenn auch unbekannte Muse zu betrachten ist. Diese verdrängte Liebe übertrug der Dichter in der Folge auf alle wichtigen Frauenbeziehungen seines Lebens, vor allem auf Felice Bauer, Milena Jesenská und Dora Diamant (siehe auch meinen Aufsatz "Kafka und die Frauen" unter "Downloads"). Die erste dieser Übertragungen (auf Felice also) löste sofort den erneuten und jetzt endgültigen Durchbruch des Traumas und den "Über-Ich-Putsch" (das zweite Folgetrauma) in der Nacht der Abfassung der Erzählung "Das Urteil" aus (und damit die Notwendigkeit, sich von nun an in Form des Schreibens lebenslang mit den Folgen dieser Traumen auseinanderzusetzen).

Das "Urteil" gilt zu Recht als Kafkas literarischer Durchbruch, als Schlüsselerzählung und sogar als Beginn der literarischen Moderne (Peter von Matt). Es beeindruckt aber auch durch eine geradezu Gänsehaut erzeugende Verdichtung der eben aufgezählten drei großen psychischen Verwundungen in Kafkas Leben: Auf weniger als einer Druckseite schildert der Dichter hier zunächst das dritte Trauma (den "Über-Ich-Putsch" mit der Verurteilung zum Tode), dann das zweite (die Begegnung mit Anna Pouzarová, dargestellt durch den intensiven Kontakt bei der "Überrumpelung" der Bedienerin) und schließlich das erste (die "Beobachtung des Verkehrs" mit darauffolgendem Ausschluss in Form des Sturzes in den Fluss).

Selbstverständlich muss diese konkrete Interpretation konkreter Motive und konkreter Textstrukturen im Vergleich zu den bisher gängigen, sich sehr anspruchsvoll gebenden abstrakten und zumeist philosophisch unterfütterten Deutungen (von Benjamin und Camus über Emrich bis zu Derrida und Deleuze/Guattari) ausgesprochen banal wirken. Und ebenso selbstverständlich kann sie nicht der Weisheit letzter Schluss sein und muss auch mit den abstrakten Mitteln der philosophischen Geistesgeschichte der Moderne (und meinetwegen auch der Postmoderne) weiter reflektiert werden. Als Basis einer literaturwissenschaftlichen Textinterpretation müsste allerdings eine gründliche und sorgfältige Analyse des konkreten Textes gelten. Denn auch ein guter Bauherr beginnt den Bau seines Hauses mit einem soliden (banalen) Fundament und nicht mit dem in der Luft schwebenden (großartigen, krönenden) Dach ...


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Kommentiertes Inhaltsverzeichnis

 

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Es folgt ein Ausschnitt aus dem Inhaltsverzeichnis von Gerhard Rieck: Kafka konkret - das Trauma ein Leben. Blau hervorgehobene Kapitel aus diesem Inhaltsverzeichnis können angeklickt werden, um eine kurze Beschreibung ihres Inhalts zu sehen.

 

DAS GRUNDTRAUMA UND DIE STANDARDSZENE

DIE ELEMENTE DER STANDARDSZENE

DIE FOLGEN

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Das Grundtrauma

Unter Kafkas Texten erfüllen nur zwei die Kriterien einer Autobiographie: der "Brief an den Vater" und die "Forschungen eines Hundes". Beide enthalten die Schilderung eines frühkindlichen traumatischen Erlebnisses, welches das Leben des Betreffenden unheilvoll prägt. Und beide Schilderungen werden vom Dichter mit nahezu den gleichen Worten eingeleitet ("Direkt erinnere ich mich an einen Vorfall aus den ersten Jahren" bzw. "Ich erinnere mich an einen Vorfall aus meiner Jugend"). Es handelt sich um die "Pawlatschenszene" (der kleine Franz Kafka wird von seinem Vater zur Strafe für nächtliche Ruhestörung auf die Pawlatsche gestellt) und um die "Musikhundeszene" (der kleine Forscherhund wird Zeuge einer ihn bedrängenden Vorführung mehrerer musizierender Hunde).
Verschiedene ziemlich eindeutige Formulierungen drängen den Schluss auf, dass es sich bei letzterer Szene um die Beobachtung eines Geschlechtsverkehrs handelt. Legt man die beiden Kindheitstraumata nun übereinander, ergibt sich Kafkas "Grundtrauma": Das Kind wird auf die Pawlatsche ausgeschlossen, weil es (real oder auch nur in seiner Phantasie) den Verkehr seiner Eltern stört - und dieser Ausschluss wird als Ausschluss aus der Sexualität, ja aus der Welt und aus dem Leben im Allgemeinen begriffen.
Im Interesse der eigenen Existenz muss nun versucht werden, diesen Ausschluss rückgängig zu machen und wieder in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Diesem Ziel dienen die Bearbeitungen des Ausschlusses in den verschiedenen Texten - immer vergeblich, also immer unter Wiederholungszwang.

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Die explizite Standardszene

Unter "Standardszene" wird die literarische Ausformung von Kafkas "Grundtrauma" verstanden: die Beobachtung des elterlichen Verkehrs und der bestrafende Ausschluss. Diese "Standardszene" bildet das Rückgrat fast aller wichtiger Texte des Dichters. Die Geschehnisse können dabei explizit, also unverstellt, oder aber verschleiert dargestellt werden.
Als "explizite Standardszene" wird hier der Ausschluss von Karl Roßmann auf den Balkon von Bruneldas Wohnung bezeichnet, der auf die Beobachtung des Verkehrs zwischen Brunelda und Delamarche folgt (im Roman "Der Verschollene" bzw. "Amerika"). Kafka verdoppelt noch, indem er Karls Begleiter Robinson das gleiche Schicksal zuteil werden lässt (und zwar zu wiederholten Malen!).

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Die verschleierte Standardszene

In diesem Kapitel werden (in Stellvertretung für viele andere) fünfzehn ausgewählte Szenen aus Kafkas Werk vorgestellt, in denen der Ausschluss eines Beobachters der geschlechtlichen Liebe eines Paares thematisiert wird, wobei diese Grundkonstellation mehr oder weniger (oft nur notdürftig) verschleiert dargestellt wird (z.B.: in "Die Verwandlung" - Gregor Samsa wird von seinem Vater vertrieben, bevor sich dieser in gänzlicher Vereinigung mit der Mutter befindet; oder in "Ein Brudermord" - Schmar wird vom Schutzmann abgeführt, während sich Julia Wese mit ihrem Ehemann vereinigt; oder im "Proceß" - Josef K. wird vom kopulierenden Paar Berthold/Waschfrau getrennt; oder im "Schloß" - K. wird vor der Tür des Paares Frieda/Jeremias auf dem Gang zurückgelassen; etc. etc.).

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Das Bett und das Kanapee

Das auffälligste und bedeutendste Einzelmotiv Kafka´scher Texte ist das Bett. Mit einer absurd anmutenden Überhäufigkeit ist das Bett (oder z.B. das Kanapee) Ort wichtiger Begegnungen, ja oft genug der einzige Ort, an dem der Protagonist anderen für ihn schicksalshaften Figuren begegnet. Ebenso absurd ist die Ignoranz fast aller Interpreten diesem Motiv gegenüber.
Unter vielen anderen Texten Kafkas spielen vor allem die folgenden entweder ausschließlich oder zum Großteil an bzw. in einem Bett: Der Jäger Gracchus, Das Ehepaar, Das Urteil, Die Verwandlung, Ein Landarzt, In der Strafkolonie, Der Gruftwächter. Darüber hinaus erfolgen in den drei Romanen die ersten Begegnungen der K.s (Karl Roßmann, Josef K., K.) mit folgenden Figuren am bzw. im Bett: in "Der Verschollene" mit dem Heizer, mit Delamarche und Robinson, mit Therese und mit Brunelda; in "Der Proceß" mit den Wächtern des Gerichts, mit dem Advokaten Huld und mit dem Maler Titorelli; in "Das Schloß" mit dem Gemeindevorsteher, mit der Brückenhofwirtin und mit dem Beamten Bürgel (jeweils über viele Druckseiten hinweg!).
Von der Vorstellung des "Grundtraumas" ausgehend, welches sich in die "Standardszene" übersetzt, ist das Bett als Motiv deshalb unverzichtbar, weil alle Personen zu Beginn des Grundtraumas im Bett liegen.

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Der Beobachter

Das Kind im Bett, das den Verkehr der Eltern beobachtet, ist ein Vorbild für die zahllosen Beobachtungsszenen in Kafkas Werk. Oft genug ist es daher "Verkehr" im übertragenen Sinn, der beobachtet oder beobachtend gestört wird.
Karl Roßmann in "Der Verschollene" beobachtet also den Verkehr im Hafen und in den Straßen New Yorks (mehrmals); Georg Bendemann in "Das Urteil" beobachtet den Verkehr auf der Brücke; Josef K. stört (im "Proceß") in den Gerichtskanzleien den Verkehr (und wird deshalb vor die Tür geschleppt); der Landvermesser K. stört (im "Schloß") im Gang des Herrenhofs den Verkehr (der sich erst nach seiner Entfernung entwickeln kann).
Darüber hinaus wird aber auch der Störende selbst beobachtet (von seinen Schuldgefühlen geplagt?), und zwar oft auffallend impertinent. Eine wahre Beobachtungsorgie betrifft etwa Karl Roßmann (in "Der Verschollene") bei seinem Eintreffen vor dem Haus Bruneldas; zu wiederholten Malen beobachtet wird Josef K. (in "Der Proceß") während seiner Verhaftung und der Landvermesser K. (in "Das Schloß") von seinen Gehilfen sowie (zweimal) von einer ganzen Schulklasse.
Auch das von Kafka oft eingesetzte Stilmittel der "Binnenerzählung" stellt die Beobachtung des eigenen Schicksals an Hand des Schicksals anderer Figuren dar (z.B. die Binnenerzählungen des Heizers, Robinsons und Thereses in "Der Verschollene", Blocks Erzählung und die "Türhüterlegende" in "Der Proceß" sowie die Geschichte der Familie Barnabas in "Das Schloß" - allesamt handeln sie von ebenso wie die K.s Ausgeschlossenen).

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Zerstreutheit, Müdigkeit und Schläfrigkeit

Zerstreutheit, Müdigkeit und Schläfrigkeit sind ganz charakteristische Befindlichkeiten Kafka´scher Figuren, für deren Beschreibung der Autor immer wieder Superlative bemüht (im Fall der Müdigkeit z.B.: zum Sterben müde, stumpf vor Müdigkeit, unbeherrschbar müde, denkunfähig vor Müdigkeit, besinnungslos müde etc.).
Vom Standpunkt der These von der Übersetzung des "Grundtraumas" des Dichters in die "Standardszene" des Werks sind Zerstreutheit, Müdigkeit und Schläfrigkeit die naheliegenden geistigen und körperlichen Zustände eines Kindes, welches nachts durch Ereignisse und/oder Phantasien geweckt wird, deren Faszination ein Weiterschlafen verhindert.

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Die Türe und der Türhüter

Wenigstens diese Motive wurden bisher, bedingt durch die zentrale Bedeutung der "Türhüterlegende", einigermaßen beachtet, wenn auch vorwiegend nur an diesem einzelnen Text selbst. Darüber hinaus sind Türen und Türhüter im Werk Kafkas aber allgegenwärtig. Zahllose Szenen spielen an oder in Türen, immer wieder werden sie gesucht, wird vor ihnen Wache gehalten, an ihnen geklopft, beim Durchgang gezögert, in ihnen verweilt, um Eingang oder Ausgang gekämpft, in mehreren Abfolgen eingetreten und wieder hinaus gegangen etc. Ebenso zahllos sind die Türhüterfiguren (z.B.: in "Der Verschollene": Herr Green, Robinson, der Oberportier(!), der Bursche vor dem Haus Bruneldas, der Verwalter des "Unternehmens Nr.25" sowie in der Binnenerzählung Thereses), zu denen natürlich auch der Vater in der "Verwandlung" zählt sowie die vielen Beamten und Sekretäre, die im "Schloß" vor oder hinter den Türen postiert sind (in der Szene der "Aktenverteilung" gegen Ende des Romans etwa ist jeder einzelne der vielen Beamten ein strenger Türhüter).
Vorbild für diese Motive ist aus meiner Sicht der Vater in der Szene des "Grundtraumas", der Herr über die Türe zwischen Wohnung und Pawlatsche, also zwischen Sexualität und Abstinenz, also zwischen Leben und Tod ...

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Licht, Halbdunkel und Finsternis

Für die drei Motivgruppen "Licht, Halbdunkel und Finsternis", "Luftzug und dumpfe Luft" und "Wärme und Kälte" gilt das Gleiche: alle bilden sie den Gegensatz zwischen heller, stickiger, warmer Wohnung und halbdunkler bis dunkler, windiger und kalter Pawlatsche (bzw. Gängen und Treppenhaus) in Kafkas Grundtrauma ab, wie sie sich dem traumatisierten Kind ebenso schmerzlich wie sinnlich fürs ganze Leben eingeprägt und seinen Texten eingeschrieben haben.

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Luftzug und dumpfe Luft

Für die drei Motivgruppen "Licht, Halbdunkel und Finsternis", "Luftzug und dumpfe Luft" und "Wärme und Kälte" gilt das Gleiche: alle bilden sie den Gegensatz zwischen heller, stickiger, warmer Wohnung und halbdunkler bis dunkler, windiger und kalter Pawlatsche (bzw. Gängen und Treppenhaus) in Kafkas Grundtrauma ab, wie sie sich dem traumatisierten Kind ebenso schmerzlich wie sinnlich fürs ganze Leben eingeprägt und seinen Texten eingeschrieben haben.

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Wärme und Kälte

Für die drei Motivgruppen "Licht, Halbdunkel und Finsternis", "Luftzug und dumpfe Luft" und "Wärme und Kälte" gilt das Gleiche: alle bilden sie den Gegensatz zwischen heller, stickiger, warmer Wohnung und halbdunkler bis dunkler, windiger und kalter Pawlatsche (bzw. Gängen und Treppenhaus) in Kafkas Grundtrauma ab, wie sie sich dem traumatisierten Kind ebenso schmerzlich wie sinnlich fürs ganze Leben eingeprägt und seinen Texten eingeschrieben haben.

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Die Abweisung und der Balkon

Die Abweisung des Eintritts durch eine Türe (prominentestes Beispiel: die "Türhüterlegende"; weitere Abweisungen vor Türen erleiden u.a. Therese im "Verschollenen" und der Kübelreiter in der gleichnamigen Erzählung) wird in Kafkas Texten des öfteren durch die Abweisung der Bitte um Aufnahme in einen Dienst bzw. in eine Hierarchie ersetzt (z.B. mehrmals im "Verschollenen" sowie generell im "Schloß"). Eine Abweisung auf einer Art Balkon wird in der Erzählung "Die Abweisung" von einem beobachtenden Kind miterlebt. Alle diese Abweisungen thematisieren die Verweigerung der Aufnahme des ausgeschlossenen Kindes in die elterliche Wohnung im Geschehen des Grundtraumas.

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Treppen und Gänge

Auch dieses Motiv ist ebenso von der Deutung vernachlässigt worden wie es für viele Kafka-Texte geradezu konstitutiv ist: Viele Erzählungen (und Romanepisoden) spielen vorwiegend oder gar ausschließlich auf Treppen und Gängen und es gibt in den Texten Figuren, welche sozusagen ihr gesamtes Leben auf Treppen und Gängen verbringen (z.B. Odradek in "Die Sorge des Hausvaters" oder das Tier in "Der Bau"). Offenbar hat sich dem kleinen Franz Kafka die Architektur (das nächtliche Gang- und Treppensystem) seiner Traumaszenerie ebenso nachhaltig in die Seele eingebrannt wie die dazugehörigen sinnlichen Details (siehe "Licht, Halbdunkel und Finsternis", "Luftzug und dumpfe Luft", "Wärme und Kälte").

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Die Zwei Gehilfen

In allen Romanen Kafkas und in vielen Erzählungen tritt ein Figurenpaar auf, welches dem Protagonisten des jeweiligen Textes eng zugeordnet ist, wobei diese Zuordnung auf zum Teil heftigen Widerstand der Hauptfigur stößt. Die zwei Gehilfen des Landvermessers K. im "Schloß" geben das Vorbild für die Sammelbezeichnung dieses Paares ab. Sie sind oft kindlich, unbedarft, spontan und triebhaft und entweder überhaupt nicht unterscheidbar oder aber sehr wohl unterscheidbar, wobei diese Differenzierung dann immer am Bett erfolgt (am deutlichsten in "Blumfeld" zwischen den beiden Zelluloidbällen).
Diese Unterscheidung macht dann in vielen Fällen aus einem der beiden Figuren einen Dominanten und sexuell Aktiven und aus dem anderen einen Unterworfenen und sexuell abstinenten Junggesellen. So in allen drei Romanen, wo also den Verheirateten oder Liierten (Delamarche, Willem und Jeremias) die Junggesellen oder Verlassenen gegenüberstehen (Robinson, Franz [sic!] und Artur). Vorbild für diese Spaltung ist die Ich-Spaltung des Autors, wie sie in den "Forschungen eines Hundes" angedeutet wird, wo der ins Geschehen integrierte kindliche "Teilnehmerhund" (die lustvolle Wunschphantasie) und der vom Geschehen ausgeschlossene kindliche "Beobachterhund" (die traurige Realität) aufeinander bezogen sind.

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Initiation

Initiation ist ein Schlüsselbegriff für das Verständnis von Kafkas Leben und Werk. Es wird darunter jener Vorgang verstanden, der aus einem Halbwüchsigen ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft macht. Traditionell erfolgt diese Aufnahme in die Gemeinschaft in Form von Ritualen, in deren Verlauf noch einmal die Unterwerfung der Jungen unter die Autorität der Alten gefordert wird, um die Haltbarkeit des Generationenvertrages zu garantieren. Bei einem gestörten Verhältnis zwischen den Generationen (zwischen Eltern und Kind) misslingt diese Initiation und das Kind bleibt auch als biologisch Erwachsener an kindliche Verhaltensmuster gebunden, die ihm sowohl im Berufs- als auch im Liebesleben typische Probleme bereiten.
Kafka stellt die misslingende Initiation modellhaft am Beispiel Amalias im "Schloß" dar (als Spiegelung der misslingenden Aufnahme des Landvermessers in den Schloßdienst) und lässt auch in vielen anderen Texten seine Protagonisten vor allem auch beruflich scheitern (am deutlichsten sicher den halbwüchsigen Karl Roßmann im "Verschollenen" auf seinem Initiationskreuzweg quer durch Amerika).

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Homosexualität und der Angriff von hinten

Viele (vor allem natürlich psychoanalytische) Interpreten haben an Kafka und seinen Figuren homosexuelle Züge entdeckt. Nicht alle sind dabei so offensichtlich unverantwortlich verfahren wie Günter Mecke in seiner Studie "Franz Kafkas offenbares Geheimnis", in der er Kafka manifeste Homosexualität zuschreibt und dieser sexuellen Orientierung offen gezeigte Verachtung zuteil werden lässt. Homosexualität ist aber Bestandteil der sexuellen Ausstattung fast jedes Menschen und daher wohl auch in fast jedem etwas umfangreicheren dichterischen Werk zu "entdecken". Für sich allein besagen diese Entdeckungen nur, dass Homosexualität eben menschlich ist. In diesem Sinn lassen sich auch bei Kafka viele homosexuelle Bezüge finden, die auf eine teilweise weibliche Identifizierung hinweisen, ohne dass deshalb seine Homosexualität gezeigt wäre.
Das deutlichste Motiv diesbezüglich ist der "Angriff von hinten" (H. Kaiser), gipfelnd in einem tödlichen "Aufspießen", wie es Gregor Samsa in der "Verwandlung", den Verurteilten in der "Strafkolonie" oder der Brücke in der nach ihr benannten Erzählung widerfährt bzw. dem Tier im "Bau" (und seinem Feind) in der Phantasie zustößt. Und wie es in einer raffiniert getarnten und geradezu pornographischen Penetrationsszene vom Protagonisten der Erzählung "Ein Brudermord" erwünscht wird (der noch dazu Schmar heißt, also den Ort der Penetration im eigenen Namen versteckt hält).

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"Transvestiten"

Ergänzend zu den Betrachtungen über homosexuelle Bezüge in Kafkas Werk geht es in diesem Kapitel um Protagonisten und andere Figuren in den Texten, die sozusagen in der Verkleidung des anderen Geschlechts auftreten (also nicht notwendigerweise immer in deren Kleidung) und damit die Geschlechtergrenzen durchlässig erscheinen lassen. Als Beispiele werden zunächst männliche Figuren in Frauenkleidern (oder unter Frauentüchern) angeführt (Robinson in "Der Verschollene" und der Jäger Gracchus in der ihm gewidmeten Erzählung), dann Männer, die sozusagen in Frauenobhut gehalten werden oder denen dieses Schicksal droht (Giacomo in "Der Verschollene", Block im "Proceß" und K. im "Schloß") und schließlich weibliche Figuren, deren verborgene männliche Identität relativ zwanglos erschlossen werden kann, allen voran Amalia im "Schloß".

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Der Kampf gegen die Unterwerfung

Für viele Protagonisten der Texte Kafkas gilt eine grundlegende Ambivalenz, deren literarische Verarbeitung offenbar ein dringendes Anliegen des Autors darstellt. Gemeint ist die Ambivalenz von ersehnter und verweigerter Unterwerfung. Im vorliegenden Kapitel liegt also der Schwerpunkt auf der Verweigerung der Unterwerfung, wie sie besonders deutlich (aber nicht immer konsequent) von Josef K. im "Proceß" und vom Reisenden in der "Strafkolonie" gelebt wird, aber auch vom Landvermesser K. im "Schloß".

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Die Hierarchie und der Diener

Die grundsätzliche Ambivalenz von Unterwerfung und Verweigerung drückt sich in Kafkas Texten immer wieder auch in den Werbe- und Aufnahmeritualen in stark hierarchisch gegliederten Systemen aus. Besonders im "Verschollenen" lösen einander diese Hierarchien laufend ab und reichen vom Schiff über den Betrieb des Onkels und das Hotel Occidental bis zum Theater von Oklahoma. Die meisten dieser Hierarchien betreiben ein geradezu grotesk aufwendiges System von Anwerbung und Aufnahme (wie übrigens auch das Schloß im gleichnamigen Roman!), sind durch rigide Disziplin und absurde Strenge gekennzeichnet und ziehen oft die bei ihnen Aufnahme Suchenden aktiv an, nur um sie später aus nichtigen oder undurchsichtigen Gründen wieder zu demütigen und auszustoßen.
In diesem Motiv überträgt Kafka die familiäre Initiation auf die gesellschaftliche Initiation, und daher finden sich hier wie dort die gleichen Figurenkonstellationen, vor allem die "aktiven" und die "passiven" Diener, also die in der Nähe der Macht Geduldeten oder die selbst Macht Ausübenden (z.B. Delamarche im "Verschollenen" und die Dienerschaften im "Proceß" und im "Schloß") im Gegensatz zu den an den Rand oder gar darüber hinaus gedrängten Dienergestalten, in denen sich die Protagonisten (und ihr Autor) oft genug spiegeln (etwa in Robinson im "Verschollenen" oder in Barnabas und seiner Familie im "Schloß").

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Der innere Briefwechsel

Einen Schlüssel zum Verständnis eines wichtigen Grundzuges in Kafkas Werk bietet der "Brief an den Vater", in dem der Autor gegen das Ende des Briefes zu seinen Vater auf die Ausführungen des Sohnes antworten lässt, und zwar in einem charakteristisch kalten, unbarmherzigen und abweisenden Ton. Diesen Ton findet man wieder in einigen Texten, in denen die erzählende Figur eine andere Figur entweder offen oder versteckt abwertet (wie z.B. in "Die Sorge des Hausvaters" der Erzähler das auf Gänge, Dachböden und Treppenhäuser ausgeschlossene Wesen Odradek oder in "Josefine, die Sängerin" der Chronist die Titelfigur oder in "Eine kleine Frau" der Erzähler die ihn mit Vorwürfen bedrängende Frau). Es ist auch der das gesamte Werk hindurch anzutreffende Ton zwischen der Macht und den von ihr Ausgeschlossenen, psychologisch gesprochen der zwischen einem sadistischen Über-Ich und dem von ihm unterdrückten masochistischen Ich - der Ton des "inneren Briefwechsels".

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Das Schreiben zum Tode

Kafkas Texte sind in vielen Fällen (das hat schon Herman Uyttersprot erkannt) auf den Tod des Protagonisten hin angelegt. In vielen Erzählungen ist es dabei ganz ausdrücklich der Vorgang des Schreibens, der die Hauptfigur vom Leben zum Tod befördert. Kafkas Dichtung ist also in zweifacher Hinsicht ein "Schreiben zum Tode": die tötende Schreibhand des Autors bedient sich im Text noch einmal des verlängerten Arms eines menschlichen oder maschinellen Schreibers, exemplarisch und offen in den Erzählungen "Ein Traum" und "In der Strafkolonie", versteckter, aber immer noch deutlich genug, in den Scharen schreibender Beamter und Sekretäre in den Romanen "Der Proceß" und "Das Schloß" (welche dort die Existenz der Hauptfiguren unter anderem durch ebenso endlosen wie unfruchtbaren Schriftverkehr vernichten).
Und im Leben Kafkas war nicht nur der ungeliebte Brotberuf des Schriftstücke produzierenden Versicherungsbeamten lebensfeindlich, sondern auch die fast ganz auf (geschriebene) Kunst beschränkte Existenz und das fast ganz auf (geschriebene) Briefe beschränkte Beziehungsleben (vor allem natürlich mit Frauen). "Schreiben als Lebensverhinderung und Lebensbeendung" lautet dieses Programm, diktiert vom Kampf zwischen Über-Ich und Ich, in dem eine dieser beiden inneren Instanzen die Feder übernimmt und die jeweils andere "zu Tode schreibt", wie es modellhaft dargestellt ist in der "Strafkolonie", wo zuerst das inferiore Ich der Verurteilten und dann das sadistische Über-Ich des Offiziers schreibend gequält wird.

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Die unbekannte Muse

In allen drei Romanen Kafkas gerät der Protagonist in den Bannkreis einer jungen Frau, die im gleichen Haushalt (Wirtshaus, Pension, Hotel) wohnt wie er, wobei dieser Haushalt von einer Mutterfigur geführt wird und in zwei Fällen ("Der Verschollene" und "Das Schloß") die junge Frau sozusagen die Wahltochter der Mutterfigur ist. Diese Dreieckskonstellationen lauten also konkret "Oberköchin - Therese - Karl Roßmann" ("Der Verschollene"), "Frau Grubach - Fräulein Bürstner - Josef K. ("Der Proceß") und "Brückenhofwirtin - Frieda - K." ("Das Schloß").
Darüber hinaus spielen Dienstmädchen (bzw. Küchen-, Stuben-, Zimmer- oder Serviermädchen) in Kafkas Erzählungen immer wieder eine bedeutende Rolle, und auch in den Romanen sind sie immer wieder schicksalshaft für die Hauptfiguren (man denke nur an die Verstoßung Karl Roßmanns im Anschluss an seine Verführung durch das Dienstmädchen Johanna Brummer oder an die Ungnade, in die Josef K. fällt, nachdem er bei seinem Advokaten mit dessen Dienstmädchen Line schläft, anstatt mit dem anwesenden Kanzleidirektor des Gerichts zu sprechen!).
Dieses für alle Romane und so manche Erzählung strukturbestimmende Motiv der "fatalen Dienstmädchenliebe" (auch im "Proceß" wird Josef K. ausgerechnet am gleichen Ort und zur gleichen Zeit verhaftet, an dem und zu der er bisher täglich das Frühstück vom Dienstmädchen serviert erhalten hat - noch im Bett liegend!) weist auf einen für den Autor offenbar zentralen Umstand hin: die Verführbarkeit durch ein junges Dienstmädchen im mütterlichen Haushalt.
Eine erdrückende Fülle von Indizien weist darauf hin, dass Kafka seine Liebe zu der 1902/1903 im Haushalt der Familie Kafka angestellten Anna Pouzarová (damals 21 Jahre alt; Kafka war 19) - als Spätfolge seines "Grundtraumas" - verdrängte und diese unerfüllt gebliebene Liebe in fast allen wichtigen jugendlichen Frauengestalten des Werks und in fast allen Geliebten des Dichterlebens als Projektion wiederkehrt. Und zwar, wie es bei einem so beispielhaft ehrlichen Dichter wie Kafka nicht anders zu erwarten ist, in aller Konkretheit: Viele Dienstmädchengestalten der Texte heißen Anna (oder Johanna oder Fanny) und viele Geliebte des Dichters werden von ihm als Dienstmädchen gesehen (so vergleicht er schon im allerersten Satz im Tagebuch Felice Bauer mit einem Dienstmädchen) oder sind, wie Dora Diamant zur Zeit, als Kafka sie kennenlernt, selbst eines.

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Rezensionen

 

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Geret Luhr (in: literaturkritik.de Nr.5 Mai 2000 unter dem Titel „Kafkas Code entschlüsselt? Wie bei Gerhard Rieck aus einem Kindheitstrauma die Kernszene des Kafkaschen Werks wird“)

[...]
[...] Rieck hat Thesen zu bieten, die zum Teil so stark sind, dass man sie nachgerade zur Kenntnis nehmen muss.
[...]
Rieck nämlich spürt die sogenannte Standardszene in allen wichtigeren Werken Kafkas auf. Und das Ergebnis ist in der Tat verblüffend. Immer wieder stößt der Leser, dem von Rieck die Augen geöffnet werden, auf das gleiche Geschehen.
Mit großem Fleiß löst Rieck daraufhin die Standardszene in einzelne motivische Details auf, die er wiederum durch das ganze Werk hindurch verfolgt, wobei er gelegentlich deutlich über das Ziel hinausschießt. Im Großen und Ganzen jedoch sind seine konkreten Erörterungen sowohl zu den wesentlichen Motiven im Werk Kafkas als auch zu den Bedingungen seines psychischen Lebens (darunter auch so heikle Themen wie die mögliche Homosexualität Kafkas) äußerst erhellend.
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Walter Schönau (in: Deutsche Bücher 2-3/2000, S.205f.)

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Gerhard Rieck hat eine originelle Untersuchung veröffentlicht ... . Er deutet das Gesamtwerk Kafkas als die (oft symbolisch verrätselte) Gestaltung eines Grundtraumas.
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Rieck führt nun in philologischer Kleinarbeit und mit analytischem Spürsinn alle wiederholt auftretenden Motive in den Werken von Kafka auf diese Urszene des Ausschlusses zurück. So ist in der Tat zum Beispiel der Ausschluß Karls auf Bruneldas Balkon in "Amerika" eine solche Wiederholung der Schlüsselszene. Bei näherer Betrachtung erweisen überraschend viele Episoden sich als nach diesem Modell gebildet. Ich weiß, diese These klingt in ihrer Monokausalität nicht sehr überzeugend, aber die Kafkaforscher sollten nicht zu rasch ungeduldig abwinken. Was Rieck meines Erachtens gelungen ist, ist die Herausarbeitung desjenigen in der Kafkaschen Dichtung, was Peter von Matt einst als das „psychodramatische Substrat“ bezeichnet hat.
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Geht man von einem Schichtenmodell des literarischen Werkes aus, so hat Rieck ein plausibles Konzept für die „untere“ latente Phantasieschicht gezeichnet, auf der die anderen Bedeutungsebenen aufbauen.


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